Was bringen Hirntraining-Apps wirklich? Bestimmte Computerspiele sollen die Intelligenzleistung verbessern, die Denkgeschwindigkeit erhöhen, das Gedächtnis trainieren und sogar Demenz entgegenwirken. Damit wäre das stundenlange Daddeln ab sofort nicht mehr nur ein netter Zeitvertreib, sondern richtig gut fürs Gehirn. Nur: Ist an den Versprechen etwas dran? Was bringen Hirntraining-Apps wirklich?
Eine ältere Dame hält ein Smartphone in der Hand und wischt eifrig über das Display: Erst steuert sie ein kleines Boot durch einen Eiskanal, dann fotografiert sie ein Monster, das aus dem Wasser springt, und zu guter Letzt schießt sie Leuchtraketen ab. Was nach einem netten Computerspiel klingt und jede Menge Spielspaß verspricht, ist in Wirklichkeit ein Forschungsprojekt mit ernstem Hintergrund. Die Dame spielt nämlich das Spiel Sea Hero Quest und liefert der Demenzforschung damit überaus wichtige Daten. Das Spiel wurde von mehreren wissenschaftlichen Einrichtungen in Zusammenarbeit mit der Deutschen Telekom entwickelt. Es steht kostenlos zur Verfügung und stellt Eigenschaften wie die Konzentration, die Reaktion, die Merkfähigkeit und die räumliche Orientierung auf die Probe. Jeder, der das Spiel spielt, beteiligt sich an der Forschungsarbeit zu Demenz. Denn durch das Spiel werden weltweit Daten zum Orientierungsvermögen von Erwachsenen gesammelt. Hintergrund hierzu ist folgendes: Die Forschung weiß inzwischen, dass ein nachlassendes räumliches Orientierungsvermögen zu den frühen Anzeichen von Demenz gehört. Ohne möglichst viele Vergleichsdaten kann aber gar nicht eingeordnet werden, welches Orientierungsvermögen in welchem Alter überhaupt normal ist. Inzwischen haben schon rund drei Millionen Menschen die Einskanäle erobert. Dadurch haben die Wissenschaftler unter anderem die Erkenntnis gewonnen, dass die Orientierung bereits im frühen Erwachsenenalter nachlässt und damit weit früher abnimmt, als bisher gedacht. Die Wissenschaftler möchten die Daten nutzen, um diagnostische Verfahren und Therapien zu entwickeln. Dadurch könnte es in Zukunft vielleicht möglich werden, eine Demenz zu erkennen, noch bevor die Gedächtnisleistung spürbar eingeschränkt ist. Sich durch die 76 Level von Sea Hero Quest zu spielen, ist damit ein wirklich sinnvoller Zeitvertreib. Allerdings bleibt eine Frage: Profitiert auch der Spieler von dem Spiel? Kann die App also die Fähigkeiten im Alltag verbessern und eventuell sogar einer Demenz entgegenwirken? Oder hilft der Spieler nur der Forschung? Trainingseffekte lassen sich nicht 1:1 übertragenViele Hirntraining-Apps versprechen, dass sie den Kopf fit machen. Wer regelmäßig spielt, soll seine Intelligenz steigern, schneller denken und seine Merkfähigkeit verbessern können. Ganz so einfach ist es aber nicht. Denn was im Spiel passiert, lässt sich nicht automatisch auf den Alltag übertragen. Wer beispielsweise gleiche Kartenpaare aufdeckt, wird zwar im Spiel immer besser. Namen, Telefonnummern oder Einkaufszettel kann er sich dadurch aber nicht besser merken. Wer bei einem Spiel möglichst schnell einen Button drücken muss, wenn ein bestimmtes Bild auftaucht oder ein gewisser Ton erklingt, trainiert seine Reaktionsschnelligkeit. Doch das bedeutet nicht, dass er dadurch automatisch schneller reagiert, wer er in eine gefährliche Alltagssituation gerät. Und wer immer souveräner durch die Eiskanäle beim Forschungsspiel manövriert, verbessert seine Orientierung. Allerdings beschränkt sich das verbesserte Orientierungsvermögen auf die Umgebung des Spiels. Zu diesen Erkenntnissen kam eine Gruppe aus Wissenschaftlern der University of Illinois, nachdem sie alle Studien ausgewertet hatte, die die Anbieter von Hirntraining-Apps als Belege für die Wirkung ihrer Spieler anführten. Die Forschergruppe hielt viele Studien für wenig aussagekräftig und konnte kaum Nachweise für Trainingseffekte, die über die Apps hinausgehen, finden. Wissenschaftliche Belege dafür, dass ein Gehirntraining, egal ob mittels App oder in anderer Form, einer Demenz vorbeugen kann, gibt es bisher ebenfalls nicht. Hirntraining-Apps wirken positivDoch das heißt nicht, dass Gehirntraining-Apps wirkungslos sind. Ganz im Gegenteil verbessern solche Spiele die Ausdauer und die Konzentrationsfähigkeit. Außerdem gibt es Hinweise darauf, dass das Spielen der Apps die Lebensqualität, die Stimmung und die Verhaltensweisen positiv beeinflusst. Eine geschickte Wahl der Trainingselemente wiederum kann die Wirkung verstärken. Denn je näher die Aufgaben am Alltag sind, desto eher können die Effekte im Alltag genutzt werden. Wer beispielsweise Rechenspiele spielt, kann beim nächsten Supermarktbesuch leichter überschlagen, wie teuer der Einkauf wird. Spiele, bei denen es darum geht, sich Begriffe oder Zahlen zu merken, können die Merkfähigkeit im Allgemeinen steigern. Das Gedächtnis als solches verbessert sich zwar nicht. Aber der Spieler lernt und trainiert Strategien, die ihm dabei helfen, sich bestimmte Inhalte wie Telefonnummern, Vokabeln oder Einkaufslisten einzuprägen. Das Gehirn ist wie ein MuskelIn einem Punkt sind sich alle Wissenschaftler einig: Je mehr das Gehirn aktiv und langfristig gefordert wird, umso besser. Doch das Gehirn möchte nicht nur genutzt und trainiert werden. Soziale Kontakte und körperliche Bewegung sind für die geistige Gesundheit genauso wichtig. Stundenlang im stillen Kämmerlein am Computer zu daddeln, ist also der falsche Weg. Stattdessen sollte es schon eine bunte Mischung aus Aktivitäten in der virtuellen und in der realen Welt sein. Daneben ist die Bereitschaft, sich immer wieder auf Neues einzulassen, ein entscheidender Faktor. Denn die Fähigkeit, mit unbekannten Situationen umzugehen, lässt als erstes nach. Und für Hirntraining-Apps gilt: Sie sollten nicht nur einen wissenschaftlichen Hintergrund haben, sondern vor allem abwechslungsreich sein und Spaß machen. Außerdem sollten die Erfolge nachvollziehbar sein, damit die Motivation erhalten bleibt. Eine Wirkung lässt sich nämlich nur erzielen, wenn regelmäßig gespielt wird. In dieser Hinsicht ist das Gehirn also mit einem Muskel vergleichbar. Denn ein Muskel wächst, wenn er trainiert wird, und bildet sich zurück, wenn das Training gestoppt wird. Das Gehirn verhält sich genauso. 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